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Eine neue Verteidigungspolitik für Österreich

Von der Umfassenden Landesverteidigung zur umfassenden Kooperation -Herbert Scheibner

Wien, 15. Jänner 2001  - Die politische Führung und das österreichische Bundesheer werden nunmehr den Weg einer umfassenden europäischen Verteidigungskooperation zu beschreiten haben. Im Bild v.re. Verteidigungsminister Herbert Scheibner, sein Amtsvorgänger Werner Fasslabend und Generaltruppeninspektor General Horst Pleiner bei der Amtsübergabe am 4. Februar 2000

Die Studien und Analysen, die seit dem Ende des Kalten Krieges über die Konsequenzen dieser historischen Wende und das neue sicherheitspolitische Umfeld verfaßt wurden, sind Legion-auch in Österreich. Die wesentlichen, zumindest unter Experten unbestrittenen Schlüsse können daher zwar als bekannt vorausgesetzt, sollen aber dennoch zum besseren Verständnis des Folgenden in komprimierter Form wiederholt werden:

  • Den über 40 Jahre hindurch hauptsächlich an der bipolaren Konfrontation orientierten Grundlagen der Verteidigungspolitik wurde durch den Zerfall der Sowjetunion und ihres Bündnissystems der Boden entzogen. Die bis dahin gültigen Parameter strategischer Stabilität, konventionelles Gleichgewicht und Abhaltung, überwölbt von nuklearer Abschreckung verloren ihre Wirksamkeit. In einer nunmehr zwar von der existentiellen Bedrohung durch eine entscheidungssuchende Auseinandersetzung zwischen den beiden Blöcken befreiten, synchron dazu jedoch auch sehr beweglich und unbeständig gewordenen strategischen Lage war und ist es erste Priorität der europäisch-transatlantischen Sicherheitspolitik, die zwischen- und innerstaatliche Stabilität zu erhalten und damit die Voraussetzungen für die Gewährleistung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung auf dem gewohnt hohen Niveau zu schaffen. Eine wichtige Bedingung dafür war, den aus dem kommunistischen Herrschaftssystem entlassenen Reformstaaten Zentral- und Osteuropas Unterstützung bei der Gestaltung eines demokratisch-marktwirtschaftlichen Gemeinwesens wie auch bei der Herstellung tragfähiger Beziehungen untereinander angedeihen zu lassen, um mögliche posthegemoniale Konflikte zu vermeiden. Dies wurde v.a. in Form politisch-wirtschaftlicher Unterstützung, aber auch der Aufnahme jener Staaten, die dazu bereit und in der Lage waren, in europäisch-transatlantische Institutionen und Strukturen in Angriff genommen und dient letztlich der gesamteuropäischen Stabilität. Die Erweiterung von EU und NATO ist jedenfalls auch in diesem Licht zu sehen. Europäisch-transatlantische Sicherheitspolitik trat damit im Allgemeinen von einer reaktiv orientierten Phase in eine aktiv gestaltende ein, in der nach Möglichkeit bereits präventiv die Entstehung von Risken für die Stabilität oder von Bedrohungen verhindert und zusätzlich stabilisierend ins Umfeld gewirkt werden soll. · Die Realisierung dieser Intention war und ist allerdings mit einer Reihe von neuen Herausforderungen sowie qualitativ und quantitativ neu gewichteten Bedrohungen dieser erstrebten Stabilität konfrontiert. Zunächst gewannen Destabilisierungsszenarien an Bedeutung, die bislang unterhalb der Ebene zwischenstaatlicher Handlungsnotwendigkeit bzw. (militär-)strategischer Relevanz (und damit unterhalb der Schwelle der Notwendigkeit militärischer Handlungsnotwendigkeit) gesehen worden waren. Zu nennen sind hier v.a. bürgerkriegsartig ausgetragene innerstaatliche Konflikte ethnisch-religiösen Hintergrundes mit der Option der Desintegration von Staaten mit allen Konsequenzen auch in Europa, die breite und vergleichsweise kostengünstige Nutzung fortgeschrittener Informationstechnologie, die einer kaum begrenzbaren Anzahl von Akteuren die Möglichkeit eröffnet, ihre strategischen Ziele auch ohne den Einsatz konventioneller Gewalt zu verfolgen, sowie die Verfügbarkeit von Waffensystemen strategischer Bedeutung (Massenvernichtungswaffen einschließlich weit reichender Trägersysteme) in der Hand unberechenbarer Regimes bzw. nichtstaatlicher und daher schwer kontrollierbarer politischer Gruppierungen. Gleichzeitig erwiesen sich die verfügbaren politischen Institutionen und militärischen Instrumentarien den neuen Herausforderungen als nur bedingt gewachsen (der 2. Golfkrieg als Beispiel für ein ultimatives Muster zur Wahrung bzw. Wiederherstellung der Souveränität eines Staates kann keinen Modellcharakter für sich in Anspruch nehmen). Die UNO als Organisation kollektiver und die OSZE als eine solche kooperativer Sicherheit widerspiegeln noch immer die Machtverhältnisse und Regelungsmechanismen des Kalten Krieges, die EU benötigt zur Entwicklung einer wirksamen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nach wie vor Zeit, und selbst die NATO zeigte 1999 gegenüber den Ereignissen in Jugoslawien ein hohes Maß an Vorsicht und Selbstbeschränkung, aus ihrer traditionellen Rolle einer Organisation kollektiver Verteidigung nötigenfalls auch unter Einsatz militärischer Mittel aktiv außerhalb des Vertragsgebietes einzugreifen.
  • Die Globalisierung der Wirtschaft sowie die Verfügbarkeit fortgeschrittener Informations- und Kommunikationstechnologie in privater Hand stellen die Autorität und damit auch die Souveränität des Nationalstaates zunehmend in Frage. Gleichzeitig wird deutlich, daß die oben angesprochenen Risken und Bedrohungen mit den klassischen Mitteln autonomer nationalstaatlicher Verteidigung nicht nur für Kleinstaaten nicht mehr zu bewältigen sind. Dies führt vermehrt zu systematischer Kooperation und bündnisartigen Zusammenschlüssen. Umso bedeutsamer wird gleichzeitig die Definition der Kernfunktionen des Nationalstaates für ein überschaubares und damit organisierbares gesellschaftliches Gemeinwesen in Abstimmung mit anderen Staaten ähnlicher Problem- und Interessenslage sowie ähnlicher Wertebasis. Eine der zentralen Fragen in diesem Zusammenhang bleibt die Gestaltung der Schutzfunktion für die Gesellschaft(en) und damit auch der Verteidigung derselben.
  • Das zunehmende Wohlstandsgefälle zwischen den meisten Staaten der nördlichen Hemisphäre und solchen in anderen Räumen sowie der damit einhergehende Bevölkerungsdruck überfordern die derzeitigen Möglichkeiten der traditionellen Institutionen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit in den wohlhabenden Staaten. Nichtstaatliche Akteure terroristischer oder krimineller Natur nützen den gewonnenen Handlungsspielraum und verfügen darüber hinaus über finanzielle sowie technische Möglichkeiten, im subkonventionellen Konfliktspektrum transnational zu agieren und in Verfolgung ihrer Ziele destabilisierend zu wirken.
  • Letztlich schließt keine seriöse Analyse der strategischen Lage-gerade weil diese beweglich und unbeständig geworden ist-das in nonlinearen Entwicklungen liegende Gefahrenpotenzial völlig aus. Selbst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre war es nicht möglich, die wenige Jahre später Tatsache werdende Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion vorherzusagen. Der in Osteuropa laufende politisch-wirtschaftliche Umgestaltungsprozeß etwa dürfte noch auf längere Zeit unsichere Entwicklungsoptionen in sich bergen. Die nachteiligste davon wäre zweifellos ein Ende der Kooperation, eine Entsolidarisierung und Renationalisierung der Sicherheitspolitik, verbunden mit einer Rückkehr zur alten Macht- und Gleichgewichtspolitik auf dem europäischen Kontinent, verschärft durch eine Einflußnahme außereuropäischer Mächte auf eine derartige Entwicklung. Verantwortungsbewußt Sicherheits- und Verteidigungspolitik als wesentlicher Beitrag zur langfristigen Existenzsicherung muß jedenfalls auch derartige Möglichkeiten in Betracht ziehen.

Insgesamt bleibt also festzuhalten, daß im gleichen Ausmaß, in dem die Bedrohung durch die zwischenstaatliche Anwendung militärischer Gewalt im euroatlantischen Raum unwahrscheinlicher geworden ist, neue Bedrohungsmöglichkeiten und -formen an Bedeutung gewonnen haben. Die strategische Lage ist unbeständig und beweglich geworden, selbst große Nationalstaaten sind in diesem Umfeld immer weniger in der Lage, Sicherheit und Stabilität für ihre Bürger autonom zu gewährleisten. Gleichzeitig sind die bestehenden supranationalen Organisationen nicht nur noch nicht vollständig an die neuen Gegebenheiten angepaßt, auch eine künftige Verantwortungs- und Aufgabenteilung zwischen der nationalen und der übernationalen Ebene steht in Diskussion. Unbestritten unter tatsächlichen Experten-sieht man von international nicht ernst genommenen Randpositionen ab-ist lediglich, daß zur Wahrnehmung der Schutzfunktion des Staates für seine Bevölkerung-und damit auch jeder Organisation, an die der Nationalstaat einen Teil seiner diesbezüglichen Verantwortung und somit Souveränität abtritt-weiterhin leistungsfähige Streitkräfte erforderlich sein werden. Ihre Stärke, ihre Struktur und ihr Charakter stehen aber im Kontext der optionalen Weiterentwicklung supranationaler und nationaler Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit einhergehender bestehender oder auch allenfalls noch einzugehender verpflichtender Bindungen nach wie vor zur Disposition.

Die nachstehenden Ausführungen sollen daher aktuelle politische Überlegungen hinsichtlich der Gestaltung einer den objektiven Rahmenbedingungen sowie den eigenen Interessen und Möglichkeiten entsprechenden neuen österreichischen Verteidigungspolitik darlegen.

Konsequenzen aus der Entwicklung des sicherheitspolitischen Umfeldes auf die europäische und österreichische Verteidigungspolitik

Zur Enttäuschung Vieler trat also mit dem Ende des Kalten Krieges weder das "Ende der Geschichte", symbolisch für das Ende der gewaltsamen Austragung von Konflikten, noch eine "New World Order" ein, in der eine Art "Weltautorität" für Recht und Ordnung sorgt. Im Gegenteil: Die Anzahl der weltweit zu verzeichnenden Kriege ist seit 1991 erheblich angestiegen, jene der darin involvierten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure hat sich sprunghaft erhöht. Die Konsequenzen dieser Auseinandersetzungen sind in ihrem Charakter zumeist gleich: Verlust der Lebensgrundlagen der Bevölkerung, Vertreibungen in großem Maßstab, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Destabilisierung von Staaten und ganzer Regionen. Was manche nicht mehr für denkbar hielten, trat im Juni 1991 ein: der gewaltsame Zerfall Jugoslawiens und damit Krieg in Europa, der nicht nur diesen Kontinent über beinahe zehn Jahre in Atem hielt und dessen Folgen noch auf kaum absehbare Zeit die Stabilität der Region beeinträchtigen sowie die europäischen Institutionen und die sie tragenden Staaten belasten werden. Noch kurz davor hatten gerade in Österreich, das auf Grund seiner geografischen Nähe naheliegender Weise ganz besonders von den Auswirkungen der Balkan-Konflikte betroffen ist, manche einer funktionierenden Landesverteidigung negativ Gegenüberstehende Kritik an den Warnungen der Experten geäußert und gemeint, nach dem Wegfall der Bedrohung durch den Warschauer Pakt bedürfe das Bundesheer wohl nun des künstlichen Aufbauschens einer (natürlich irrationalen) Gefahr durch ein Auseinanderbrechen Jugoslawiens, um seine Existenz überhaupt noch rechtfertigen zu können. Sie wurden nicht zuletzt durch die massiven Forderungen der Grenzbevölkerung nach einem Einsatz der österreichischen Streitkräfte an der Staatsgrenze zu Slowenien eines Besseren belehrt.

Aber auch außereuropäische Konflikte sind heute in einem anderen Licht zu betrachten als in der Vergangenheit. Die geografische Distanz verliert im Zeitalter globaler Vernetzung des Güter- und Personenverkehrs zunehmend an Bedeutung. Waren gewaltsame Auseinandersetzungen in Afrika oder im asiatisch-pazifischen Raum noch in den 80er Jahren eher Randerscheinungen des öffentlichen Interesses in vielen Staaten Europas, die bestenfalls das humanitäre Gewissen, karitative Organisationen und sicherheitspolitische Experten beschäftigten, sind die europäischen Nationen heute unmittelbar von den Auswirkungen betroffen. Migrationsströme in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß stellen die bisherigen Regelungsmechanismen in Frage, der Zugang zu Rohstoffen vitaler Bedeutung für die Wirtschaft (im Übrigen auch für die jener Staaten, in denen diese Konflikte ausgetragen werden) wird in Frage gestellt und - last not least-die humanitäre Verantwortung und jene für die Einhaltung der Menschenrechte kann sich nicht mehr hauptsächlich auf gute Worte und Almosen beschränken. Neben die traditionelle Hauptaufgabe von Sicherheitspolitik, Schutz der Bevölkerung vor allen (wie bereits angemerkt quantitativ und qualitativ neu gewichteten) Bedrohungen zu gewährleisten, tritt somit eine aktive Komponente: die Eindämmung bzw. die Kontrolle von Konflikten auch außerhalb des traditionellen Verantwortungsbereiches sowie-nach Möglichkeit-die Beseitigung ihrer Ursachen und die Stabilisierung des Raumes. Umfassende Sicherheit bedeutet in letzter Konsequenz umfassende Verantwortung, was gerade angesichts des Charakters der anstehenden Herausforderungen aber gleichzeitig heißt, daß im entsprechenden Spektrum der einzusetzenden Mittel und Methoden auch solche militärischer Natur zu ihrer Bewältigung unverzichtbar sind.

Im gleichen Ausmaß, in dem die aktuellen Bedrohungen und Gefahren für die Stabilität vor Landesgrenzen nicht halt machen, werden auch die Aufgaben der Instrumente zu deren Bewältigung nicht mehr ausschließlich auf dem eigenen Territorium zu bewältigen sein. Gleichzeitig sind die Kosten moderner Streitkräfte, die in der Lage wären, autonom das gesamte Spektrum abzudecken, auch von verhältnismäßig großen Nationen nicht mehr zu tragen, worauf bereits hingewiesen wurde. Dies alles weist klar in Richtung einer Teilung der Aufgaben und Lasten zwischen Staaten ähnlicher Interessens- und Wertestruktur.

Die Mitgliederstaaten der EU haben begonnen, die Weichen in Richtung gemeinsamer Verteidigungskapazitäten zu stellen.

Die "Europäisierung" der Verteidigungspolitik

Für Europa und ganz besonders für Österreich bedeuten diese Perspektiven eine völlige Umorientierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Schon im Kalten Krieg war kein europäischer Staat bereit und in der Lage, mit ausschließlich nationalen Mitteln autonom die Verantwortung für seine (bedrohungsreaktive) Verteidigung zu übernehmen. Diese Aufgabe wurde entweder über eine Mitgliedschaft direkt an ein Bündnis (zu dessen Kapazitäten dann allerdings verläßlich und berechenbar Beiträge zu leisten waren) delegiert oder-in spezifischen (geo-)politischen Ausnahmesituationen-unter Abstützung auf die durch die Bündnisse gewährleistete Stabilität formell zwar unabhängig, auf die gesamtstrategische Situation jedoch sehr wohl abgestimmt erfüllt.

Den geschilderten Herausforderungen des neuen Umfeldes kann dieser Ansatz naturgemäß nicht mehr genügen. Der Zerfall der Sowjetunion hat in Zentral- und Osteuropa ein Machtvakuum hinterlassen, das zunächst auch ein Stabilitätsvakuum nach sich zog. Gleichzeitig fordert die Leitmacht euroatlantischer Sicherheitspolitik, die USA, angesichts der neuen Gegebenheiten und ihrer globalen Interessen eine höhere Eigenverantwortung der europäischen Staaten für die eigene Sicherheit ein. Nicht zuletzt entwickelt sich in Europa selbst in Form der EU aber auch eine politisch-wirtschaftliche Wertegemeinschaft, die gegenüber ihren Bürgern auch die Verpflichtung des Schutzes der ideellen und materiellen Werte und letztlich dieser Bürger selbst zu übernehmen hat. Dies wurde von den Mitgliedsstaaten der EU grundsätzlich auch erkannt und bildet die Hauptursache dafür, daß der Entwicklung der GASP nach einer langen Periode, in der darin keine wirkliche Priorität gesehen wurde, nunmehr erhöhte Bedeutung auch hinsichtlich ihrer verteidigungspolitischen Komponente zugemessen wird. Die EU beginnt damit, den aktuellen Bedingungen des sicherheitspolitischen Umfeldes Rechnung zu tragen, beschleunigt auch durch die Erfahrungen im Kosovo-Konflikt 1999, in dem die Defizite der europäischen Leistungsfähigkeit schonungslos aufgezeigt wurden. Eine Delegierung von Verantwortung im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik-von den Europäern an die USA, von kleinen Ländern an große-wird im euroatlantischen Kontext zunehmend weniger möglich sein. Angemessene Übernahme von Verantwortung und aliquotes Mittragen der damit verbundenen Lasten sind die Gebote nicht nur der Stunde, sondern der Zukunft, will ein Land nicht marginalisiert und völlig von den Entscheidungen anderer abhängig werden. In letzter Konsequenz geht es darum - so wie auch in anderen Politikbereichen -, die verlorene nationale Handlungsfähigkeit durch eine geregelte Zusammenführung von Kapazitäten und eine institutionelle Stärkung auf der supranationalen Ebene wiederzuerlangen.

Mit den Beschlüssen des Europäischen Rates von Helsinki 1999, nach denen bis 2003 eine europäische Eingreiftruppe aufgebaut werden soll, will sich die EU nunmehr in die Lage versetzen, die bereits im Vertrag von Amsterdam von der WEU übernommenen "Petersberg-Aufgaben"-humanitäre und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen-bis an die europäische Peripherie erfüllen zu können. Selbst wenn damit keine autonome verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit verbunden ist, bedeutet dies einen wichtigen Schritt in Richtung einer umfassenden sicherheitspolitischen Rolle der Union, nicht zuletzt in Verbindung mit der angestrebten Erweiterung. Die Schwierigkeiten bei der Erreichung der angestrebten Zielsetzungen sind allerdings nicht zu unterschätzen. Vor allem die Umstellung des Charakters der Streitkräfte der europäischen Staaten von einer Ausrichtung auf die Verteidigung des eigenen Territoriums auf die Aufgaben der Krisenintervention wird Zeit, Mühe und auch Mittel in Anspruch nehmen. Angesichts der in Europa allgemein geringen Bereitschaft zur verstärkten Investition in die Verteidigungskapazitäten und noch ungelösten politischen Fragen muß jedenfalls vor allzu hohen Erwartungen in eine rasche Realisierung gewarnt werden. Mit einer bloßen Einbringung bestehender Kapazitäten in die europäische Ebene kann den heranstehenden Anforderungen jedenfalls nicht genügt werden. Trotzdem muß der eingeschlagene Weg im Interesse der europäischen Sicherheit und damit letztlich der Bürger energisch weiter beschritten werden. Um die nötige demokratische Basis für die erforderlichen Umgestaltungsmaßnahmen zu erhalten, wird dies auch den europäischen Öffentlichkeiten noch entsprechend zu verdeutlichen sein. Der für Europa so wichtige Erfolg dieses Unterfangens wird letztlich von ihrem politischen Willen abhängen.

Eine voll funktionsfähige GASP bildet schließlich den höchsten Ausdruck einer politischen Union. Soll diese aber wirklich zu einem Staatenbund entwickelt werden, so müßte dies letztlich auch ein Verteidigungsbündnis mit entsprechender Beistandspflicht beinhalten, weil der wichtige Bereich des kollektiven Schutzes der gemeinsamen Werte dabei nicht ausgeklammert bleiben darf. Davon scheint die EU in ihrem heutigen Entwicklungsstadium allerdings noch weit entfernt zu sein.

Daß dies vorerst noch keine erkennbar negativen Auswirkungen zeitigt, liegt zum einen an der aktuell vordergründig vorteilhaften Bedrohungslage, zum anderen an der Existenz der NATO, der die Rolle der kollektiven Verteidigung zugeordnet werden kann, und in der nach wie vor die USA die Hauptlast der Aufwendungen tragen. Die NATO hat sich allerdings spätestens mit der Gründung der Partnerschaft für den Frieden (PfF) und ihrer Abkommen mit Rußland und der Ukraine zu einem Instrument kooperativer Sicherheit für den euroatlantischen Raum entwickelt und in den Balkan-Konflikten unter Beweis gestellt, daß sie bereit und in der Lage ist, gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln zur Stabilisierung beizutragen. Ihre "Erweiterung"-die im Übrigen vielen Unkenrufen zum Trotz nicht zu einer neuen Konfrontation mit Rußland und einer neuen Trennlinie in Europa geführt hat-durch die Aufnahme von Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn als Vollmitglieder dehnt die Zone der Stabilität nach Osteuropa aus und bildet damit zumindest eine wichtige Vorleistung zur Erweiterung der EU. Die NATO bleibt damit für die absehbare Zeit die für die europäische Sicherheit bestimmende Organisation.

Dies alles muß die österreichische Politik berücksichtigen, wobei die aktuelle Prioritätensetzung aus einer Reihe von Gründen-die noch zu erläutern sein werden-klar ist und vorbehaltlos die Bildung einer wirksamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mit einer ebensolchen Verteidigungskomponente mitträgt. Nichtsdestoweniger wird die Entwicklung der für die Sicherheit Europas bestimmenden Organisationen (die sich im Übrigen bekanntlich nicht konkurrenzieren sollen) sorgfältig zu verfolgen und rechtzeitig zu entscheiden sein, inwieweit die institutionelle Einbindung die Sicherheit des Landes bestmöglich zu gewährleisten in der Lage ist. Optionen der Weiterentwicklung von vornherein auszuschließen, kann jedenfalls nicht im Dienst der Sache sein.

Die innerösterreichischen Rahmenbedingungen

In Österreich trifft die anstehende Umgestaltung der Verteidigungspolitik auf besonders ungünstige Rahmenbedingungen. Dies liegt v.a. an zwei Faktoren: den traditionell extrem niedrigen budgetären Aufwendungen für Verteidigungszwecke sowie an den politischen Handlungsspielraum einengenden legistischen Voraussetzungen. Mit der Annahme des Status der dauernden Neutralität wurde 1955 zunächst den strategischen Realitäten des Kalten Krieges Rechnung getragen. Dieser Akt war gleichzeitig Voraussetzung zur Wiedererlangung der Souveränität. Er kam damals aber zweifellos auch dem Bedürfnis breiter Schichten der Bevölkerung entgegen, die nach den tragischen Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darin eine Gewähr sahen, sich aus Konflikten in Zukunft möglichst heraushalten zu können. Friede, politische Stabilität und wirtschaftliche Prosperität wurden bald in Verkennung der Realität mit der Neutralität identifiziert. Wie Paul Luif unlängst in der Neuen Zürcher Zeitung aufschlußreich festgestellt hat, wurde diese Auffassung allerdings auch von politischen Eliten genährt, die ein Interesse hatten, mit der Neutralität gegen eine Öffnung der Märkte und eine Liberalisierung argumentieren zu können. In völliger Verkennung der aus diesem völkerrechtlichen Status erwachsenden Verteidigungspflichten (deren Erfüllung das Vorbild Schweiz eindrucksvoll demonstrierte) geriet dieser an sich allmählich zu einem Ersatz für angemessene Verteidigungsaufwendungen. Damit war ein Circulus vitiosus eingeleitet, der schließlich auch in ein geringes Interesse und damit auch geringes Verständnis der breiten Öffentlichkeit für Verteidigungsfragen mündete.

Unter diesen Umständen mutet es geradezu wie ein Wunder an, daß es doch allmählich gelang, mit dem Raumverteidigungskonzept und einer milizartigen Struktur der Streitkräfte einen Erfolg versprechenden Ansatz zur Erfüllung der Hinderungspflichten eines Neutralen zu entwickeln. Ähnliches gilt für die Tatsache, daß das Bundesheer im Kern eine erstaunliche Leistungsfähigkeit aufbauen und bewahren konnte. Dies stellt letztlich dem Engagement auf allen Ebenen ein hervorragendes Zeugnis aus.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und damit der strategischen Konstellation, in und wegen der das Neutralitätsgesetz beschlossen worden war, ist allerdings auch die Ratio der österreichischen Neutralität weggefallen. Konsequenter Weise wird seither auch ihre Aufgabe mit wechselnder Intensität diskutiert. Die dabei mancherorts geäußerte Meinung, Österreich "müsse seine bewährte Neutralität nicht aufgeben", ist jedenfalls genauso richtig wie irrelevant und hilft in der Sache daher nicht weiter. Natürlich wird heute niemand Österreich zwingen, diesen völkerrechtlichen Status zu ändern. Eine offene, ohne ideologische Scheuklappen und seriös geführte Auseinandersetzung mit dem Thema muß aber die Frage stellen, welche verteidigungspolitischen Grundlagen-die legistischen eingeschlossen-im neuen Umfeld den Interessen Österreichs und auch jenen der mit ihm in der EU verbundenen Nationen am besten dienen können.

Die Antwort auf diese Frage liegt eigentlich auf der Hand: Die Fähigkeit zu systematischer Kooperation und Solidarität darf durch diese Grundlagen zumindest nicht behindert oder eingeschränkt werden. Alles Andere erschwert die innerösterreichischen Anpassungs- und Vorbereitungsmaßnahmen und vermindert die Berechenbarkeit und die perzipierte Verlässlichkeit des Landes bei den Partnern. Daran konnte auch die Anpassung des Bundesverfassungsgesetzes in Folge der Übernahme der Regelungen des Vertrages von Amsterdam, durch die eine uneingeschränkte Teilnahme an Petersberg-Missionen der EU möglich wurde, nichts ändern. Gleiches gilt für die lang überfällige Revision des mittlerweile anachronistischen Bundesgesetzes über Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial, das wesentlich von der dauernden Neutralität des Kalten Krieges bestimmt war und dessen bürokratische Handhabung bei Partnern in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auf Unverständnis und auch Verärgerung gestoßen war. Der damit verbundene Ansehens- und Bedeutungsverlust kann eigentlich nicht auf Dauer hingenommen werden. Dazu kommt, daß eine wesentliche Begründung für eine Aufrechterhaltung der Neutralität seit dem Ende des Kalten Krieges weggefallen ist: das Interesse der Staatengemeinschaft. Das Gegenteil ist der Fall: Außer Rußland, das aus seinem gegebenen Verständnis nationaler Interessen heraus sehr moderat noch ein gewisses Restinteresse an der österreichischen Neutralität artikuliert - im Sinne einer Möglichkeit, damit noch die politischen Verhältnisse in Zentraleuropa mitzugestalten -, sehen faktisch alle anderen Partnerstaaten das Institut der dauernden Neutralität eher als Hindernis zur Ausübung uneingeschränkter Solidarität. Damit wird das Dilemma und auch das Paradoxon des formellen österreichischen Beharrens auf dem neutralen Status aber völlig klar: Je mehr sich Österreich auf diese Position zurückzieht, desto mehr büßt es an politischem Handlungsspielraum sowie-im Licht der einem neutralen Staat nicht entsprechenden Verteidigungsaufwendungen-an Glaubwürdigkeit ein; je mehr es sich aus guten Gründen und eigenem Interesse in sicherheits- und verteidigungspolitisch relevante Organisationen integriert und seine Gesetzeslage entsprechend abpaßt, desto stärker leidet die interne und externe Glaubwürdigkeit der österreichischen Neutralität. Diesbezüglich sprechen auch die Meinungsumfragen in Österreich-ohne ideologische Vorbehalte interpretiert-eine klare Sprache. Wenn externes Interesse und externe sowie interne Glaubwürdigkeit aber verloren gegangen sind, welches interne Interesse kann Österreich dann noch an einer Aufrechterhaltung eines Zustandes haben, der seinen politischen Handlungsspielraum und seinen Stellenwert in der Staatengemeinschaft einschränkt?

Es muß wohl zur Kenntnis genommen werden, daß in der aktuellen innenpolitischen Realität keine ausreichende parlamentarische Mehrheit für eine Aufhebung des Neutralitätsgesetzes möglich sein wird. Es ist aber ohne Zweifel auch primäre Aufgabe der Politik, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, Themen und Ziele vorzugeben, Fehlentwicklungen vorzubeugen oder aufzuzeigen und u.a. für die Umsetzungsebene zukömmliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Prognose, daß Österreich seinen neutralen Status in absehbarer Zeit aufgeben wird, ist nicht gewagt, weil dieser im neuen Umfeld unter dem Vorzeichen der multinationalen Solidarität anachronistisch geworden ist. Es wäre daher letztlich im Interesse des Landes anzustreben, die Neutralität nicht permanent und reaktiv auf einen immer kleineren "Kern" zu reduzieren, sondern in einer klaren Willensäußerung für eine systematische, verläßliche und berechenbare Leistung auf Gegenseitigkeit zu entscheiden.

Dies setzt allerdings einen demokratischen Meinungsbildungsprozeß voraus, der bis dato von zu wenig oder unvollständiger Information gekennzeichnet war. Den Österreicherinnen und Österreichern wurde allzulange auch von offiziellen Stellen die Neutralität als Wert an sich erklärt und die Konsequenzen der Veränderung des sicherheitspolitischen Umfeldes so dargestellt, als ob diese kaum einen gravierenden Einfluß auf die grundsätzliche Ausrichtung der österreichischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik hätten. Analog dazu hat die Politik in Österreich einen großen Aufholbedarf darin, den Bürgern Verteidigung als moderne Staatsaufgabe zu erklären, nachdem die Neutralität an sich Jahrzehnte lang quasi als Synonym dafür gesehen wurde. Klar muß allerdings sein, daß dies nicht nur von den unmittelbar im Bereich der Verteidigungspolitik tätigen Repräsentanten bewältigt werden kann. Nur eine breit angelegte, von der Politik umfassend getragene Informationskampagne wird die Voraussetzungen für ein neues Verständnis von Sicherheits- und Verteidigungspolitik schaffen können, das den Bedingungen des geänderten Umfeldes entspricht.

Trotz aller Bemühungen, durch ambitionierte und gravierende Strukturreformen des Bundesheeres in den 90er Jahren den externen Entwicklungen ohne zusätzliche Aufwendungen Rechnung zu tragen, muß festgestellt werden, daß durch verschleppte Grundsatzentscheidungen und in Konsequenz unterbliebene Investitionen die Streitkräfteentwicklung zumindest zehn Jahre hinter dem objektiven Bedarf zurückgeblieben ist. Der erforderliche Aufholprozess-ohnehin schwierig genug-trifft nunmehr auf besonders ungünstige Rahmenbedingungen: Die Schere zwischen der Erwartungshaltung der Partnerstaaten in die österreichischen verteidigungspolitischen Solidarbeiträge und den eigenen aktuellen Möglichkeiten hat sich weit geöffnet. In einer Phase, in welcher der Einhaltung der währungs-, finanz- und wirtschaftspolitischen Konvergenzkriterien der EU besondere Bedeutung zukommt, das Staatsbudget entsprechend zu sanieren ist und die Bürger die konsequenter Weise erforderlichen Sparmaßnahmen deutlich zu spüren bekommen, ist gleichzeitig sicherzustellen, daß in die Modernisierung der Verteidigung erhebliche Mittel investiert werden. Daran wird allerdings für Österreich im nationalen Interesse und angesichts bereits auch von früheren Bundesregierungen-aus gutem Grund-eingegangenen Verpflichtungen kein Weg vorbeiführen. Umso wichtiger wird die Vermittlung der Erkenntnis, daß Prosperität und materieller Wohlstand auch der Absicherung durch wirksame Verteidigungsanstrengungen bedürfen, sollen sie von Dauer sein.

Eine neue österreichische Verteidigungspolitik

Eine neue österreichische Verteidigungspolitik hat damit zunächst die Aufgabe, die internen mit den externen Rahmenbedingungen zu harmonisieren. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, den entsprechenden sicherheitspolitischen Überbau zu schaffen. Aus diesem Grund hat sich die Bundesregierung dazu entschlossen, eine neue Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin zu erarbeiten, die den in den Ursprüngen noch aus den 70er Jahren stammenden Landesverteidigungsplan ersetzen wird. In ihr werden auf Basis einer eingehenden Analyse des sicherheitspolitischen Umfeldes die Interessen der Republik, davon abgeleitet die gesamtheitlichen politischen Zielsetzungen des Staates und die entsprechenden Strategien zu deren Erreichung festgelegt. Von besonderer Bedeutung für alle Maßnahmen im Bereich der Verteidigungspolitik wird eine Definition von Funktion und Aufgaben der die Sicherheitspolitik tragenden Instrumentarien sein. Mit dieser Doktrin wird insgesamt eine tragfähige politisch-konzeptionelle Grundlage geschaffen werden, auf Basis derer das abgestimmte Handeln in allen Teilbereichen der Sicherheitspolitik für die zumindest mittelfristige Zukunft an Hand klarer und nachvollziehbarer Leitlinien möglich wird.

Die Leistungsfähigkeit der Truppe wird u.a. durch Investitionen in ein der Anforderungen entsprechendes Gerät zu steigern sein. Dies betrifft den individuellen Schutz des Soldaten (oben Angehörige des österreichischen KFOR-Kontingentes) genauso...

Bis zum Wirksamwerden der neuen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin hat sich die Bundesregierung im Koalitionsabkommen auf eine Reihe von Maßnahmen geeinigt, die im Wesentlichen auf eine weitere Intensivierung der Kooperation mit und in den für die Sicherheit Europas bestimmenden Organisationen hinauslaufen. Auf den einen oder anderen Aspekt in diesem Zusammenhang wurde bereits eingegangen. Aus verteidigungspolitischer Sicht wäre dazu noch besonders zu bemerken:

Die für die Sicherheit Österreichs so bedeutsame gleichberechtigte Teilnahme an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) wird nur möglich sein, wenn einerseits substanzielle militärische Kapazitäten auf allen Ebenen eingebracht und andererseits alle legistischen Barrieren beseitigt werden, welche geeignet sein könnten, die eigene Berechenbarkeit und Verläßlichkeit in den Augen der Partner in Frage zu stellen. Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist heute mehr denn je ein mitentscheidender Gradmesser des außenpolitischen Stellenwertes und Gewichtes eines Landes in der Staatengemeinschaft. Den entsprechenden Maßnahmen ist daher zunächst in allen Bereichen Priorität einzuräumen. Es muß aber klar bleiben, daß die höchste Form systematischer Kooperation und damit auch der Sicherheit nur in einem Bündnis mit Beistandsgarantie gewährleistet werden kann. Sie erlaubt darüber hinaus als einzige die volle Abschöpfung aller Vorteile, auf die prinzipiell jede Kooperation abzielt. Dies gilt nicht nur für die militärische Zusammenarbeit, sondern auch für Wirtschaft, Infrastruktur, Forschung und Technologieentwicklung. Nur so ist für den eigenen Solidarbeitrag eine adäquate Gegenleistung zu erlangen - was für Österreich bislang trotz teilweise bemerkenswerter Beiträge nicht möglich war. In diesem Sinn ist es als Fehler zu sehen, nicht in der ersten Erweiterungsrunde der NATO beigetreten zu sein. Auch dadurch erlangt die Teilnahme an der ESVP für die nächsten Jahre erste Priorität. Man darf sich aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die ESVP noch auf unabsehbare Zeit nicht ohne Kräfte und Mittel wirksam werden kann, über die nur die NATO verfügt. Enge Kooperation auch mit der NATO und eine Harmonisierung der Verfahren und Standards der euroatlantischen Streitkräfte bleiben daher von großer Bedeutung. De facto bedeutet dies Verpflichtungen und Investitionen, die jenen eines Bündnismitgliedes sehr nahe kommen-im Falle Österreichs allerdings zunächst, ohne eine Beistandspflicht genießen und die anderen mit einer Bündnismitgliedschaft verbundenen Vorteile voll ausschöpfen zu können.

Letztlich spricht dies alles dafür, sich endlich aus der internen Paralysierung zu lösen und sicherzustellen, daß Österreich gleichberechtigt sowie mit Sitz und Stimme in allen sicherheitspolitisch relevanten Organisationen die europäische und damit seine eigene Sicherheit mitgestaltet.

Zur Entwicklung des Bundesheeres

Folgt man den bisherigen Darlegungen, so zeichnen sich die nächsten Schritte und die Schwergewichtsetzung bei der Entwicklung des Bundesheeres klar ab. Im Prinzip handelt es sich dabei um den gleichen Prozeß, den alle Streitkräfte im EU-Raum derzeit in unterschiedlichen Stadien durchlaufen-allerdings, wie bereits dargestellt, unter anderen Rahmenbedingungen: Ihr Charakter hat sich von primär auf der Verteidigung des eigenen Territoriums beruhenden Grundsätzen und Strukturen auf jene für eine Beitragsleistung zur aktiven Gestaltung bzw. Stabilisierung des strategischen Umfeldes im Sinne von Konfliktprävention, Friedenserhaltung und Wiederherstellung des Friedens außerhalb des eigenen Territorium hin zu entwickeln. Für das Bundesheer bedeutet dies darüber hinaus die Herausforderung, eine systematische Fähigkeit zur Kooperation mit den Streitkräften der Partnerstaaten in Frieden und Einsatz sicherzustellen. In Analogie zur Sicherheitspolitik lautet die entscheidende Frage nun weniger, wogegen Streitkräfte bereitzuhalten sind, sondern vielmehr wofür.

Solange allerdings nicht völlig ausgeschlossen werden kann, daß es im Rahmen von diskontinuierlichen Entwicklungen zu neuen konfrontativen Lagen kommt, muß das Bundesheer nach wie vor auch über eine gewisse Grundfähigkeit zum Schutz des eigenen Territoriums und damit-als Voraussetzung dazu-zum quantitativen Aufwuchs der Kräfte verfügen. Dies gilt in verstärktem Ausmaß, solange Österreich nicht Mitglied eines Verteidigungsbündnisses ist.

Nicht zuletzt bleibt sein Beitrag zu Stabilität und Sicherheit im Inneren in Form von Assistenzen an zivile Behörden zur Unterstützung sicherheitspolizeilicher Aufgaben oder im Fall von Katastrophen nach wie vor unverzichtbar.

Damit ist der grobe Rahmen für die Aufgaben und auch der Leistungsparameter österreichischer Streitkräfte beschrieben, wie er sich in der näheren Zukunft an Hand der relevanten Lageanalysen darstellen wird. Der entscheidende Paradigmenwechsel besteht in der geänderten Prioritätensetzung auf multinationale Friedenseinsätze. Diese stehen nun zumindest gleichrangig neben der Aufgabe der Verteidigung des eigenen Territoriums, deren Erfüllungsnotwendigkeit jedoch derzeit einer geringeren Aktualität unterliegt. Den erwartbaren Gefährdungen für die Stabilität und Sicherheit Europas und damit auch Österreichs muß heute an der europäischen Peripherie rasch und wirksam entgegengetreten werden können. Dies erfordert neben allen Instrumentarien zur friedlichen Konfliktbeilegung v.a. wirksame Streitkräfte, wie die Beispiele der jüngeren Vergangenheit-etwa am Balkan-eindrucksvoll demonstrieren. Ihre Fähigkeiten erlangen sie allerdings nicht auf Basis öffentlichkeitswirksamer Absichtserklärungen, sondern ausschließlich durch Einbringung konkreter und leistungsfähiger militärischer Ressourcen. Aus diesem Grund kommt der Befähigung des Bundesheeres zur Teilnahme an europäischen Friedenseinsätzen im vereinbarten Ausmaß über das gesamte Spektrum der Petersberg-Aufgaben höchste Bedeutung zu. Dies wird-wie bereits angedeutet-nur mittels entsprechender Investitionen möglich sein. Allerdings muß allen Verantwortlichen gewußt sein, daß ein Erfolg dieses Unterfangens im eigenen nationalen Interesse liegt bzw. ein Mißerfolg die Position Österreichs in der Staatengemeinschaft schwer beeinträchtigen würde. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus-ebenfalls ein Aspekt von für Österreich neuer Bedeutung-dass die jeweiligen nationalen Beiträge einer objektiven Evaluierung im multinationalen Rahmen unterliegen. Eine nachlässige Wahrnehmung der eingegangenen Verpflichtungen entspricht auch nicht dem europäischen Interesse.

Damit wird eine Kraftanstrengung erforderlich, für die ein nationaler Konsens anzustreben ist. Dabei muß aber klar sein, daß mancherorts geäußerte Meinungen, Österreich solle sich auf "soft security" konzentrieren, d.h. Friedenserhaltung, Katastrophenhilfe, Such- und Rettungsdienste und ziviles Krisenmanagement, an der Realität völlig vorbeigehen. Solches entspricht weder dem gemeinsam festgelegten europäischen Bedarf, noch würde es den Erfordernissen aktueller Konfliktszenarien genügen. Es wäre fatal, wenn österreichische Kräfte zu einer Belastung für eine internationale Friedenstruppe würden, weil sie nur beschränkt einsetzbar wären und gegebenenfalls sogar des Schutzes durch die Partner bedürften. Die Problematik von "soft security" ist etwa im gescheiterten Einsatz von OSZE-Kräften 1999 im Kosovo der Weltöffentlichkeit deutlich vor Augen geführt worden. Gerade auf Basis derartiger Erfahrungen hat sich die EU entschlossen, eine wirksame militärische Komponente für Friedenseinsätze zu schaffen.

Das österreichische Bundesheer wird sich jedenfalls gewissenhaft den neuen Herausforderungen zu stellen haben. Um die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, werden neben Investitionen in die Kooperationsfähigkeit auch innere Reformen erforderlich. Die Vorgaben dafür werden durch eine hochrangige Expertenkommission erarbeitet, die zu Jahresende einen ersten Bericht vorzulegen hatte. Ihre Aufgabe war im Wesentlichen, an Hand der gegebenen Herausforderungen der sicherheitspolitischen Lage eine neue Aufgabendefinition für das Bundesheer vorzunehmen sowie die Auswirkungen auf die Struktur zu untersuchen, v.a. aber, die Entscheidungsgrundlagen für die allfällige Umgestaltung des Bundesheeres zu einem Freiwilligenheer mit einer starken Milizkomponente unter den erwartbaren Rahmenbedingungen zu erarbeiten. Ohne den Ergebnissen der Kommission im Detail vorgreifen zu wollen, wurde dabei klar, daß ein derartiges Heer im möglichen Umfang derzeit nicht dem objektiven Bedarf gerecht werden kann. Ein Übergang dazu wäre nur in einem längeren Zeitraum und unter spezifischen Rahmenbedingungen möglich. Die Wehrpflicht wird daher noch auf Sicht beizubehalten sein.

Unbeschadet dessen sind jene Reformen, welche die Kooperationsfähigkeit des Bundesheeres im europäischen Rahmen im erforderlichen Ausmaß herstellen, unverzüglich in Angriff zu nehmen. Dabei wird die Leistungsfähigkeit der Truppe zunächst weniger in Form von Strukturänderungen, sondern mehr von Investitionen in die Ausbildung des Personals und in ein den Anforderungen entsprechendes Gerät weiter zu steigern sein. Strukturelle Maßnahmen werden v.a. die Anpassung des Führungs- und Verwaltungssystems der Streitkräfte an die neuen Aufgaben zum Ziel haben. Im Vordergrund steht dabei vorerst die Schaffung einer einheitlichen militärischen Führungsspitze, die in der Lage sein muß, den Aufgaben der multinationalen militärischen Kooperation, der Streitkräfteplanung sowie der Planung und Führung von Einsätzen im In- und Ausland voll gerecht zu werden. Um den berechtigten Forderungen nach Investitionen entgegenzukommen, bedarf es allerdings auch einer kräftigen Straffung der Verwaltung. Es wird dabei genau zu prüfen sein, welche Leistungen in Hinkunft noch durch eigene Trägerstrukturen zu erbringen sind, bzw. welche gegebenenfalls ökonomischer zugekauft werden können, zugleich aber auch, welche Leistungen des Bundesheeres an zivile Bedarfsträger erbracht und wie diese abgegolten werden können.

Die österreichische Verteidigungspolitik und damit das Bundesheer befinden sich damit in einer entscheidenden Phase, in der die Weichenstellungen in Richtung einer Europäisierung der Verteidigung erfolgen. Die Bevölkerung und die Partner können jedenfalls darauf vertrauen, daß sich alle Verantwortlichen dieser Herausforderung mit dem gleichen Engagement stellen werden, das dem Bundesheer auch in der Vergangenheit bei Einsätzen im In- und Ausland Respekt und Ansehen verschafft hat-im Interesse und zum Wohle Österreichs und in Hinkunft auch Europas.

Die politische Führung.

Die politische Führung.

Die Kooperation mit der NATO.

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Die Kooperation mit der NATO.

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