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Gastkommentar von Bundesminister Darabos zum Tschad-Einsatz im Falter 49/07

Wir sind im Wort

Wien, 06. Dezember 2007  - Warum ich österreichische Soldaten in den Tschad schicke. Eine Erwiderung auf meine Kritiker.

Im Osten des zentralafrikanischen Tschad spielt sich eine humanitäre Katastrophe ungeheuren Ausmaßes ab. 250.000 Flüchtlinge aus der angrenzenden Bürgerkriegsregion Darfur und etwa 170.000 Binnenvertriebene leben in großen Flüchtlingscamps – darunter zahlreiche schwer traumatisierte Frauen und Kinder. Überfälle auf Flüchtlinge und Hilfsorganisationen, Misshandlungen, Vergewaltigungen und das Rekrutieren von Kindersoldaten sind Teil des elenden Alltags.

N’Djamena, die Hauptstadt des Tschad, ist von Wien nur fünf Flugstunden entfernt, aber in unserer medialen Wahrnehmung sind das offensichtlich Lichtjahre. Wenige kannten diese Stadt, bevor sie durch den Tschad-Einsatz des Bundesheeres zum Thema wurde. Wenige, die dieser Tage die bevorstehende EU-Mission kommentieren, sind jemals dort gewesen. Ich war Anfang Oktober mit Experten vor Ort, um mir ein Bild von der Situation zu machen. Obwohl ein Verteidigungsminister selten Emotionen und Empfindungen zeigen sollte, möchte ich ganz offen sein: Es ging mir persönlich sehr nahe, zu sehen, wie diese Menschen in permanenter Angst, in großer Armut und ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft leben müssen. Zugegeben: Es gibt viele Regionen dieser Erde, in denen großes Elend herrscht, aber die Frage der Unterstützung der Flüchtlinge im Tschad hat sich für die Weltgemeinschaft und damit auch für Österreich eben jetzt gestellt – und sie muss jetzt beantwortet werden.

Es scheint leider so, dass auf dem (vergessenen) Kontinent Konflikte auch längerfristig eher die Regel denn die Ausnahme sein werden. Hungersnöte, Epedimien und andere humanitäre Katastrophen verschärfen die Situation und sind zu einem großen Teil unmittelbare Folge gewaltsamer Auseinandersetzungen. Nach einer Schätzung des UNHCR gab es in Afrika 2006 etwa 2,4 Millionen Flüchtlinge und 6,8 Millionen intern Vertriebene. Die größten Flüchtlingsströme verzeichneten der Bereich der Großen Seen und das „Dreiländereck“ Sudan / Zentralafrikanische Republik / Tschad. Diese Situation ist nicht tragbar. Deshalb haben der Weltsicherheitsrat und in weiterer Folge die Europäische Union eine humanitäre Unterstützungsmission beschlossen.

Nach positiver Beurteilung durch Generalstab und Heeresnachrichtenamt habe ich mich dazu entschlossen, diese Mission politisch zu unterstützen und der Bundesregierung einen solidarischen Beitrag Österreichs zu empfehlen. Wir wollen und werden dem Sterben in Afrika nicht länger zusehen. Primäres Ziel der gesamten Operation ist der Schutz von Flüchtlingen und Hilfsorganisationen. Unsere Soldatinnen und Soldaten werden mithelfen, den Vertriebenen Sicherheit und Hoffnung auf eine Zukunft zu geben. Unsere Mission wird es unter anderem sein, die Verschleppung von Kindern und Vergewaltigung der Frauen zu verhindern, Medikamentenkonvois der UNO und Zonen um die Flüchtlingslager zu bewachen. Es geht, kurz gesagt, um den Schutz von Menschenleben.

Es sprechen auch politische Gründe für diesen Einsatz: Europa muss sich sicherheitspolitisch emanzipieren und handlungsfähiger werden. Dass die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) noch schwach ausgeprägt ist, zeigen die zu überwindenden Probleme bei der Vorbereitung. Trotz dieser Schwierigkeiten bin ich aber zuversichtlich, dass die Mission zustande kommt. Ein Scheitern käme einem massiven Rückschlag der sicherheitspolitischen Ambitionen Europas gleich. Wir sind der UNO und den Menschen im Tschad, die auf unsere Hilfe warten, im Wort.

Wenn wir nicht endlich strukturiert Hilfe zur Selbsthilfe leisten, wird das längerfristig Auswirkungen auf die bereits jetzt dramatischen Flüchtlingsbewegungen nach (Zentral-) Europa haben. Die Migrationsfrage ist für mich jedoch nur ein Aspekt von vielen – jetzt geht es in erster Linie darum, die Grundlagen für Entwicklungshilfe zu sichern, Projekte im Aussöhnungsprozess und den Aufbau im zivilen Bereich zu ermöglichen. Im Tschad braucht es dazu unter anderem die Mithilfe der Franzosen. Sich auch mit einem Land beraten zu können, das das Terrain gut kennt, ist durchaus von Vorteil. Dabei bleiben die im Land stationierten französischen Truppen jedoch organisatorisch klar getrennt von der EU-Mission mit ihrem UNO-Mandat. Wir greifen nicht in die innenpolitischen Konflikte des Tschad ein, wir ergreifen Partei für die Menschen.

Unsere Soldatinnen und Soldaten sind dafür bestens vorbereitet und ausgerüstet. Natürlich kann man sich gegen diesen Einsatz aussprechen, aber dann müssten die jeweiligen Argumentationsketten schon etwas fester geschmiedet sein. Die moralische Verpflichtung und die sicherheitspolitische Vernunft ausblendend auf den vorweihnachtlichen Zug der Anti-Tschad-Stimmung aufzuspringen, erscheint mir ein bisschen dürftig. Provokant gefragt und meine bisher dargelegte Reflexion einmal beiseite lassend: Könnte man es nicht dem Bundesheer und seinen Experten überlassen, zu beurteilen, ob und in welcher Form man in der Lage ist, an diesem Einsatz teilzunehmen? Fürchtet man sich etwa davor, dass das Bundesheer, das seit 1960 alleine in Afrika an 14 Missionen beteiligt war, seine Einsatzfähigkeit auch abseits von Katastrophenschutz und Grenzsicherung unter Beweis stellt? Unsere Soldatinnen und Soldaten würden sich breite Unterstützung und Anerkennung verdienen. Systematisch betriebene Verunsicherung beim eilfertigen Wechseln medialen wie parteipolitischen Kleingelds hilft niemandem.

Mag. Norbert Darabos, Bundesminister für Landesverteidigung

Verteidigungsminister Norbert Darabos.

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