Vor genau 50 Jahren wurde die Umfassende Landesverteidigung (ULV) als strategisches Leitbild in der Bundesverfassung verankert – ein Meilenstein für Österreichs sicherheitspolitische Ausrichtung. Was 1975 als Antwort auf eine instabile Weltordnung gedacht war, hat heute mehr Relevanz denn je: Krisen, Kriege, Pandemien, Cyberbedrohungen und globale Abhängigkeiten fordern neue Denkweisen in der Sicherheitsvorsorge. Die Umfassende Landesverteidigung ist das strategische Dach dafür.
Ein gesamtstaatliches Prinzip
Die Umfassende Landesverteidigung ist weit mehr als eine militärische Aufgabe. Sie versteht sich als gesamtstaatlicher und gesamtgesellschaftlicher Auftrag, die Sicherheitsvorsorge auf vier Säulen zu stellen:
1. Geistige Landesverteidigung
Die Geistige Landesverteidigung steht am Anfang aller anderen Maßnahmen. Sie schafft die ideellen Voraussetzungen für Verteidigungsbereitschaft, demokratisches Bewusstsein und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Bildung, Information und die Förderung eines zeitgemäßen Patriotismus stehen im Mittelpunkt. Bereits in den 1970er Jahren wurde ihr Stellenwert erkannt. So formulierte ein Abgeordneter im Nationalrat: "Die geistige Landesverteidigung … sollte die geistige Verteidigungsbereitschaft des Staatsbürgers wecken, fördern und erhalten, sie sollte ihn immunisieren gegen die psychologische Kriegsführung presumtiver Gegner …" (Nationalrat, Stenographisches Protokoll, 1969)
2. Zivile Landesverteidigung
Ziel ist der Schutz der Bevölkerung sowie die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung und der Verwaltung. Dazu gehören Katastrophenschutz, Objektschutz, Alarmierungsdienste und Maßnahmen zum Selbstschutz.
3. Wirtschaftliche Landesverteidigung
Sie sichert die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Energie, stabilisiert den Arbeitsmarkt und schützt wirtschaftliche Strukturen vor äußeren Schocks und Abhängigkeiten.
4. Militärische Landesverteidigung
Das Bundesheer schützt im Verteidigungsfall die Bevölkerung, wahrt Neutralität, sichert Grenzen und Luftraum und unterstützt im Krisenfall zivile Stellen – auch bei hybriden Bedrohungen wie Cyberangriffen.
Resilienz durch Vorsorge
Ziel der Umfassenden Landesverteidigung ist es, Österreich widerstandsfähiger – also resilient – gegenüber äußeren und inneren Krisen zu machen. Jeder Bereich greift dabei ineinander: Während die geistige Landesverteidigung das Bewusstsein schafft, schützt die zivile die staatliche Handlungsfähigkeit, die wirtschaftliche sichert das Fundament der Versorgung, und die militärische gewährleistet im Ernstfall die Verteidigung.
Das Bundesheer ist als Teil dieser Struktur nicht nur militärischer Akteur, sondern auch Partner in Katastrophen, bei sicherheitsrelevanten Lagen und in der Ausbildung der Bevölkerung für den Selbstschutz. Damit leistet es einen aktiven Beitrag zur Sicherheitsarchitektur Österreichs – im Inland ebenso wie im europäischen Rahmen.
ULV heute: aktueller denn je
Die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart bestätigen die Weitsicht jener Entscheidung vor 50 Jahren: Angesichts globaler Instabilität, geopolitischer Machtverschiebungen, hybrider Bedrohungen und wachsender technologischer Abhängigkeiten braucht es ein ganzheitliches Sicherheitsdenken.
Mit dem Konzept der Umfassenden Landesverteidigung besitzt Österreich dafür ein international beachtetes Modell, das strategische Tiefe mit gesellschaftlicher Breite verbindet – und dessen Umsetzung uns alle betrifft. Denn Sicherheit ist keine Aufgabe einzelner Institutionen, sondern eine gemeinsame Verantwortung.